Usque quo, Domine — Ps. XII (13)

DAvid spielt auf der Harfe und singt dem Herrn seinen Lob- und Dankgesang

„Mein Herz wird über Dein Heil frohlocken, lobsingen will ich dem Herrn, der mir Gutes getan“ (12, 6)

Psalm 12 steht inhaltlich und wohl auch von der Entstehung her in engem Zusammenhang mit dem vorausgehenden: Das Klagelied eines Bedrängten in bedrängender Zeit. Und gerade so kann es sich auch der heutige Beter zu eigen machen. Allerdings ist die Tonlage von Psalm 12 deutlich subjektiver als die des Vorgängers. Die Feinde, die in #12 geradezu eine Hauptrolle spielen, kommen hier erst an zweiter Stelle und dann auch nur unbestimmt in den Blick. Ausgangspunkt ist die Seelenlage des Beters, die in einem vierfachen „Wie lange noch“ ausgebreitet wird. Das ist unmittelbar eingängig und wird auch durch leichte For­mu­lierungsunterschiede zwischen der griechisch/lateinischen und der hebräischen Version in keiner Weise beeinträchtigt.

Der Übergang zur Bitte um Rettung und Erhalt des Lebens erscheint etwas über­raschend, da zuvor jedenfalls nicht von Todesgefahr die Rede war. Im alttestamentlichen Kontext – die Psalmen entstanden in stets gewaltsamen Zeiten – ist dieser Übergang jedoch leichter nachvollziehbar. Streit und Schimpf konnten schnell in Mord und Totschlag ausarten, und der Sieger konnte sich vor sich selbst und der Gemeinschaft leicht darauf hinausreden, daß eben dieser Sieg beweise, daß er im Recht sei – gleichsam im Sinne eines Gottesurteils.

Das christliche Psalmengebet hat dieses Verständnis seit frühester Zeit nicht nachvollzogen, sondern den Feind als den Teufel oder seine Dämonen identifiziert und das „entschlafen und sterben“ von V4 als den Tod der Seele durch den Verlust der heiligmachenden Gnade aufgefasst. Von daher erscheint bereits früh (z.B. im Psalmenkommentar des hl. Athanasius aus dem 4. Jahrhundert) der ganze Psalm als Anrufung der Hilfe Gottes im Kampf mit dem übernatürlichen Bösen. Das ist ein folgerichtige Weiterentwicklung des Verständnisses dieses Gebets, die sich auch darauf stützen kann, daß „der Feind“ der einleitenden Verse dort nur undeutlich beschrieben wird und vieles darauf hindeutet, daß hier die Dimension eines innerseelischen Kampfes von Anfang an mitgesehen wird. daß er im Recht sei – gleichsam im Sinne eines Gottesurteils.

Jedenfalls berechtigt nichts dazu, die eher materiell-irdische und die eher spirituelle Ebene der hier beschriebenen Auseinandersetzung als einander ausschließend zu betrachten und sich bei der Auslegung (und im Gebet!) allein auf die erste Ebene zu beschränken. Vielmehr kann man annehmen, daß schon im Gebet frommer Juden der späten vorchristlichen Jahrhunderte beide Ebenen zusammengdacht worden sind. Auch die typischerweise vorweggenommene Danksagung für die Erfüllung des Gebets deutet in ihren Formulierungen daraufhin, daß hier die spirituelle Ebene angesprochen ist: Es frohlocke mein Herz in Deinem Heile, ich willen Singen dem Herrn für seine Güte und den Namen des Herrn lobpreisen. Das ist schon eine bemerkenswert andere Tonart als die des Schlusses von Psalm 11.

Mit dem Hinweis auf die „innerseelische“ Dimension des in #12 angesprochenen Kampfes kann man die Frage verbinden, ob bestimmte Psalmen oder auch die Psalmen generell eher als individuelles Gebet oder in der Gemeinschaft, vielleicht sogar in einem liturgischen Rahmen, gesprochen wurden. Für die meisten Psalmen gibt es darauf keine Antwort, nicht zuletzt deshalb nicht, weil wir über den Gottesdienst und die Gebetspraxis der Juden der alten Zeit wenig gesicherte Informationen haben. Was jedoch als historisch belegbar gelten kann, ist, daß außerhalb des Kreises der Schriftgelehrten der Zugang zu Büchern extrem begrenzt war. Auch die Lesefähigkeit im „gemeinen Volk“ war durchaus gering, und ebenso knapp waren Zeit und Kraft, sich größere Schriften auswendig anzueignen. Das gilt auch dann, wenn man einräumt, daß die Fähigkeit zum Memorieren in Gesellschaften ohne verbreitete Schriftkultur weitaus stärker ausgebildet war als heute. Die Frommen konnten sicher bestimmte Psalmen und andere Grundgebete auswendig, die im idealerweise mehrmals täglich stattfindenden Gebet von Hausgemeinschaft und Gemeinde immer wieder vorkamen und (ebenso idealerweise) von allen mitgesprochen wurden. Das kann man sich insbesondere für die nachgerade „volksliedhaft“ anmutenden Wallfahrtspsalmen 119 – 133 und einige Segens-Psalmen vorstellen – aber eben auch für einige der Gebete um Errettung aus Notlagen wie den hier in Nr. 12 vorliegenden.

Letzte Bearbeitung: 25. März 2024

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