Magnus Dominus — Ps. XLVII (48)

Die Abbildung zeigt die Szene aus dem II. Buch der Chronik 20, 22), in der Josphat Gott für den Sieg über die feindlichen Könige dankt

Die Könige versammelten sich und zogen gemeinsam heran (Ps. 47, 5)

Auch Psalm 47 gehört zu den Lobliedern auf Yahweh, den großen König auf dem Zionsberg, und steht von daher zu Recht in einer Reihe mit den ähnlichen Psalmen 45 und 46. Inhaltlich und formal weist er allerdings noch stärker als diese „schwierige Stellen“ auf, die das Verständ­nis und das Gebet erschweren – gerade weil man die dort gemachten Aussagen vom „Zionsberg weit im Norden“ und von der „Zusammenrot­tung der Könige“ zu verstehen glaubt – solange man nicht genauer darüber nachdenkt.

Das „Großreich“ Davids und Salomos war nach dem Tod des letzteren in zwei Teile zerfallen, die aber noch ein gewisses Zusammen­gehö­rigkeitsgefühl miteinander verband. Jerusalem war die Hauptstadt des Südreichs. Diese Stadt und der Zionsberg liegen nur dann nördlich, wenn man das Nordreich völlig aus dem Blickfeld nimmt – aber selbst dann kann von „weit im Norden“ kaum die Rede sein. Jerusalem liegt 100 km südlich von Galiläa, das allgemein als die nördlichste Region des einigermaßen geschlossenen jüdischen Siedlungsgebiotes gilt. Moderne Erklärer halten dieses „weit im Norden“ daher für die Übernahme eines Attributs aus der Religion der Kanaaniter – deren Haupgott residierte auf einem „weit im Norden“ gelegenen Welten­berg. Da die Juden viel von den Kanaanitern „geerbt“ haben, kann man eine solche Übernahme nicht ausschließen. Zum Verständnis des Psalms insgesamt ist die Frage wenig entscheidend.

Interessanter erscheint da eine Überlegung des Übersetzers und Kommentators Wilhelm Karl Reischl in seiner erstmals 1870 erschienenen Psalmenerklärung, die ohne die Ver­mu­tung einer Übernahme auskommt. Auch Reischl (I, 254f) weiß um den heidnischen Götterberg bei den Hyperboräern – aber er schreibt: Dürften wir annehmen, der heilige Sänger spiele hier auf diesen Mythos des heidnischen Orients an, dann würde er sagen: Was die (heidnischen) Völker im fernsten Norden vermuten und suchen - die Wohnung Gottes und seinen festen Hochsitz, dies ist allein auf Sion Wirklichkeit, und zwar dauernd und offenbar.“

Am Schluß der ersten Strophe (V. 4) wird vom göttlichen Herrscher auf dem Zionsberg gesagt, daß er als der sichere Schutz ihrer Bewohner bekannt ist, und in der folgenden Strophe wird das mit einem dramatischen Beispiel belegt: Als einstmals eine Gemein­schaft von Königin, die gegen Jerusalem heranzog, schon beim Anblick der Stadt so sehr in Schrecken versetzt wurden, daß sie die Flucht ergriffen. Die Erklärer seit den ältesten Zeiten verweisen dazu auf mehrer Berichte von wunderbaren Erettungen Israels und seiner Hauptstadt vor den Feinden, die sämtlich – soweit überhaupt zeitlich einzuordnen – in die Zeit vor der Eroberung durch die Assyrer fallen. Am meisten genannt wird dabei der von mehreren regionalen „Kleinkönigen“unterstützte Feldzug unter Sanherib, der 701 mit einem überraschenden Rückzug der Angreifer endete und von dem im 2. Buch der Chronik Kap. 20, 22 ff. die Rede ist.

Am Schluß der zweiten Strophe wird die These vom sicheren Schutz für die Gegenwart bekräftigt: Wie wir es hörten, so erleben wir es jetzt; und auch in den folgenden Versen ist mit keinem Wort von der Katastrophe des Jahres 587 die Rede, mit der die die Königsherrschaft in Jerusalem zu Ende ging und der Tempel zuerstört wurde.

Obwohl der Psalter als Buch ja erst Jahrhunderte später zusammengestellt wurde, ist hier offenbar ein Lied aufgenommen worden, das entweder ganz aus dieser Zeit vor der Ero­be­rung durch die Assyrer stammt – oder das nachträglich auf diesen Zustand ungestör­ten und gesichert erscheinenden Friedens hin gedichtet worden ist. Jedenfalls besteht weitgehende Einigkeit darüber, daß der Psalm 76 aus Anlaß von Festlichkeiten im Tempel gesungen wurde – und wenn dieser Gebrauch tatsächlich sowohl den ersten als auch den zweiten Tempel umfassen würde, wäre das ein eindrückliches Zeichen dafür, wie sehr die Juden auch nach der Katastrophe des Exils entschlossen waren, an ihrem Bund mit dem Herrn auf Zion festzuhalten.

Die Christen können das als Anreiz und Ermutigung nehmen, der Katastrophe, die sich derzeit mit dem Zusammenbruch der Kirche im ehemals christlichen Abendland ereignet, mit ähnlicher Entschiedenheit entgegenzutreten und die Bildersprache von Psalm 47 aus dieser Perspektive zu interpretieren.

Letzte Bearbeitung: 11. April 2024

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