Deus, auribus nostris — Ps. XLVI (47)

Die klassische Auferstehungsdarstellung zeigt Christus, der sich aus dem Grabe erhebt, umgeben von den geblendeten Und zu Boden stürzenden Wächter und einem hilfreichen Engel. Ganz fern im Hintergrund nähern sich bereits die drei Frauen mit den Spezereien.

„Gott stieg empor unter Jubel“ (Ps. 46, 6)

Psalm 46 ist einer der „Königspsalmen“, in denen die doppelte Blickrichtung dieses Genres beson­ders deutlich zum Ausdruck kommt. Er besteht aus zwei Abschnitten (2 – 6 und 7 – 10). von denen der erste nach einer kurzen allgemeinen Einleitung zurück in die Vergangenheit schaut – wenigstens ist das unser auf die westliche Text­tradition gestütztes Verständnis – während der zweite in eine messianische Zukunft blickt. Die Einheitsübersetzung, die sich generell eher an der hebräischen Texttradition orientiert, kann diesen Wechsel in der Blickrichtung nicht erkennen.

Dazu zumindest im Ansatz ein kurzer Ausflug auf das Gebiet der Sprach- und Überset­zungs­wissenschaften. Das Gefühl der semitisch-hebräischen und der indoeuropäischen Sprachen für den Ausdruck zeitlicher und logischer Abfolgen ist sehr unterschiedlich. Selbst wenn man die Zeitform eines Verbs im Hebräischen präzise bestimmen kann – was wegen der ungeschriebenen und erst später „hineingelesenen“ und markierten Vokale nicht immer zweifelsfrei möglich ist – bleibt dieses unterschiedliche Zeit­bewußtsein ein Unsicherheitsfaktor. Ein hebräisches Impferfekt kann bedeuten, daß etwas in der Vergangenheit liegt, aber immer noch besteht oder wirkt. Es kann aber auch signalisieren, daß etwas erst in Zukunft geschieht oder voll zur Wirkung kommt oder sogar erst geschehen soll. Das moderne Ivrit verwendet für tatsächlich das Futur die Formen, die im Bibelhebräisch diese „gleitende“ Vergangenheit bezeichneten. Für die Verse 4 und 5 hat das Gremium der Einheitsübersetzer von 1980 sich eher für die erste Variante entschieden und schreibt bei Vers 4: Er unterwirft uns Völker und zwingt Nationen unter unsere Füße. Die Übersetzer von 2016 ziehen dagegen die zweite Möglichkeit vor und schreiben: Er unterwerfe uns Völker und zwinge Nationen unter unsere Füße, bei Vers 5 entsprechend.

Ein solches offensichtlich von aktuellen Wissenschaftsmoden bestimmtes Vorgehen, das bei der nächsten Version vielleicht erneut revidiert wird oder zu einer dritten Variante führt, erscheint als ein absolut unverantwortlicher Umgang mit der heiligen Schrift. Im konkreten Fall besonders unverantwortlich, weil in der griechischen und lateinischen Überlieferung – wobei das Zeitgefühl beider Sprachen auch nicht vollständig überein­stimmt – eine doch relativ einheitliche Lesart mit Vergangenheitsformen geboten wird. So ist es denn auch in vielen „katholischen“ aber auch einigen, auch neueren, „protestan­tischen“ Übersetzungen ins Deutsche zu lesen: „Er hat uns Nationen unterworfen und Völker unter unsere Füße gelegt“. Der Blick geht in die Vergangenheit.

Für den Gebrauch der Zeiten in anderen Sätzen ist ein ähnlich verwirrender Befund zu verzeichnen – auch hier folgen wir generell der Vulgata, die zu Beginn des zweiten Abschnitts mit dem „regnabit Deus super gentes“ ganz entschieden in die Zukunft blickt.

Dieser Perspektivwechsel gibt dem Psalm eine klare Richtung. Am Anfang steht die Aufforderung an alle Völker – wirklich alle, Juden und Heiden – Gott zuzujubeln und als König anzuerkennen, der seine Macht in der Vergangenheit am Volk Israel bewiesen hat, indem er ihm half, seine Feinde zu besiegen und das gelobte Land zu gewinnen und der schließlich in feierlicher Prozession seinen Tempel auf dem Zionsberg in Besitz genom­men hat. Der zweite Abschnitt wiederholt die Aufforderung an alle, „unserem“, d.h. auf dem Zion als König residierenden, Gott zuzujubeln, und begründet das damit daß dieser Zionskönig König aller Völker sein wird, daß der Gott Abrahams als Messias alle Fürsten der Erde um sich versammeln kann und wird, denn sein Reich ist die ganze Erde.

Die Deutung von Vers 6 als Erinnerung an die Besitznahme des Zionsberges durch Jahveh, dessen Lade in feierlicher Prozession auf den Berg hinaufgetragen wurde, hat zu der Annahme geführt, der ganze Psalm könne ein Prozessionslied gewesen sein, das zu feierlichen Aufstiegen zum Tempelberg gesungen wurde. Wie schon öfter muß man dazu sagen: Nichts spricht dagegen, aber es gibt keine Belege in der Literatur.

Vielfach belegt ist dagegen, daß Vers 6 und und der ganze Psalm als Proklamation des (endzeitlich-messianischen) Königstums Jahwehs über die ganze Welt betrachtet wurden. Von daher war der Psalm – den man in diesem Zusammenhang wohl mit seiner hebrä­ischen Zäh­lung 47 ansprechen muß – ein wesentlicher Bestandteil der Neujahrsliturgie am Tempel und später auch in den zentralen Synagogen. Sein Vortrag bildete die Einleitung zum siebenmaligen Blasen des Schofars, mit dem die Königsherrschaft Jahwehs feierlich proklamiert wurde. Durchaus vergleichbar ist das Verständnis der Kirche, die den Psalm traditionell in der zweiten Nokturn von Christi Himmelfahrt betet und Vers 6 an diesem Tag auch in das Alleluja nach der Lesung aufgenommen hat.

Der letzte Zeile des Psalms enthält noch einen Stolperstein für die Verwender der Vulga­ta, wenn es dort über die Fürsten der Völker heißt „dii fortes terrae vehementer elevati sunt“ - „Die starken Götter der Erde sind hoch erhoben“. Die Septuaginta spricht hier von den Mächtigsten der Erde, das Hebräische von den „Beschirmern“ der Erde. Wo in einem Text aus dem 3. oder 4. Jh. die „dii“ herkommen, ist wohl nur für Spezialisten nachvollzuiehbar. Die von der Nova Vulgata gebotene Version „quoniam Dei sunt scuta terrae: vehementer elevatus est“ trägt jedenfalls wenig zur Aufklärung bei.

Solche Sprachproblemen gewidmeten Absätze unseres Versuches zu Psalm 46 können zumindest teilweise erklären, warum wir uns dazu entschlossen haben, keine eigene Übersetzung der Psalmen zu versuchen.

Letzte Bearbeitung: 11. April 2024

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