Judica me, Deus — Ps. XLII (43)
„So will ich zum Altare Gottes treten“ (Ps. 42, 4)
Der in der Tradition der Septuaginta als Psalm 42 „abgespaltene“ dritte Abschnitt schließt hier unmittelbar an. Er berichtet nicht nur in Andeutung davon, daß der Fromme in seiner Exilsnot wieder zu beten begonnen hat. Nein, er gibt das ganze Gebet wieder. Die Elemente der Klage werden darin von Vers zu Vers leiser und treten dann ganz zurück hinter der Bitte um die Gnade, wieder zurückkehren zu dürfen zum heiligen Berg mit der Wohnung des Herrn in Jerusalem. Und der immer intensiver vorgetragenen Bitte folgt dann nach vertrautem Muster der Dank für die bereits als gewährt vorweggenommene Erfüllung beim Dankgottesdienst und Opfer vor dem Altar des Tempels.
Das babylonische Exil der Juden (bzw. eines Teils der jüdischen Ober- und Bildungsschicht) liegt 2500 Jahre in der Vergangenheit zurück und hat auf den ersten Blick mit der Lebenssituation der heutigen christlichen Beter wenig zu tun. Die letzten 200 Jahre haben es vielen Menschen der „entwickelten westlichen Welt“ gründlich abgewöhnt, diese Welt als „Jammertal“ (Psalm 83, 7), als Exil zu begreifen, das zwischen ihnen und der wahren Heimat liegt. Es gibt Anzeichen dafür, daß diese optimistische Sichtweise, die in den 60er Jahren des 20. Jh. ihren Höhepunkt erreichte, nicht mehr zu halten ist. Wer heute als Christ zu leben bemüht ist, weiß sehr wohl, wie sich das anfühlt, wovon in 41, 11 die Rede ist: Wenn die Bedränger jeden Tag höhnisch fragen: „Wo ist denn nun dein Gott?“ Die Frage, die der Refrain der drei Abschnitte des Doppelpsalm 41/42 aufwirft, treibt wohl jedem Bewohner unserer vermeintlich besten aller möglichen Welten um: „Meine Seele, warum bist du so betrübt und bist so unruhig in mir?“ Wenn nur nicht der Schritt zum jeweils folgenden zweiten Vers so schwer fiele: „Harre auf Gott, denn ich werde ihm noch danken, meinem Gott und Retter, auf den ich schaue.“
An die tausend Jahre lang hat dieser Zusammenhang und der Halbvers „So will ich zum Altare Gottes treten, zu Gott der mich erfreut von Jugend an“ die Kirche dazu bewogen, den Priester Psalm 42 anstimmen zu lassen, wenn er zum Beginn des hl. Messopfers an die Stufen des Altars trat. Bis dann die fehlgeleitete Liturgiereform Pauls VI. den Sinn für diese Zusammenhänge verlor (oder gar unterdrücken wollte?) und kurzerhand in Nichts auflöste.
Letzte Bearbeitung: 28. Mai 2024
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