Judica, Domine, nocentes me —
Ps. XXXIV (35)

Das Bild zeigt die Schlüsselszene des „Salomonischen Urteils“ Im Vordergrund die beiden Frauen, die um das Kind streiten, und den Gerichtsdiener, der schon das Schwert erhebt, um es „gerecht“ zu teilen. Dahinter Salomo, der sich von seinem Thron erhebt und Einhalt gebietet.

„Verschaff mir Recht nach Deiner Gerechtigkeit, Herr.“ (Ps. 34,14)

Psalm 34 ist im griechischen Text der Septuaginta (und dementsprechend auch in der Vulgata) stellenweise schwer verständlich, und das hat seinen Grund: Auch noch der heute vorliegende hebräische Text bedurfte einiger bibel­wissenschaftlicher Korrekturen und Emendationen, um den darin vorkommenden seltenen Wörter und schwierigen Wendungen einen Sinn abzugewinnen. Im großen Ganzen scheint das gelungen zu sein, und das ist nicht zuletzt das Verdienst der poetischen und bilderreichen Sprache, die das Gemeinte auch dann erahnen läßt, wenn einzelne Wörter zweifelhaft bleiben. Letzten Endes macht es keinen Unter­schied, ob man wünscht, die Feinde mögen in die Grube fallen, die sie selbst gegraben haben – oder sich in dem Netz verfangen, das sie selbst ausgespannt haben (Vers 7, 8).

Der Psalm läßt sich grob in drei Abschnitte einteilen. Der erste (1 – 10) erbittet die Hilfe des Herrn und seiner mächtigen Engel gegen eine Verfolgung, deren Urheber und Ankla­ge zunächst ungenannt bleiben. Die beiden letzten Verse dieses Abschnitts enthalten das für das Genre typische Vertrauensbekenntnis: Der Beter ist sich der Hilfe des Herrn gewiss und freut sich schon jetzt darauf, bald seine Dank- und Lobgebete anstimmen zu können.

Im zweiten Teil (11 – 18) gewinnt die Anklage und gewinnen die Ankläger etwas deutli­chere Konturen: Wahrscheinlich geht es um eine gerichtliche Auseinandersetzung inner­halb der (weiteren) Familie oder der Nachbarschaft – was auf das gleiche hinauslaufen dürfte.

Um die Anschuldigungen zurückzuweisen hat der Beter nur einen Satz: Man befragt mich nach Dingen vor, von denen ich nichts weiß. Das kann sehr viel bedeuten – die Übersetzung des Juden Naftali Herz präzisiert, „falsche Zeugen beschuldigen mich des Raubes“. das steht zwar so nicht im Text, kann sich aber auf eine parallele Stelle in Psalm 68, 5 stützen. Doch der eigentliche Streitgegenstand ist nicht das Hauptanliegen des Beters. In fünf Zeilen variiert der Beter dann seinen Vorwurf der Undankbarkeit und des Verrates an die ihm offenbar nahestehenden Ankläger – auch hierzu gibt es Parallelstel­len in anderen Psalmen, beispielsweise 15; 3 oder 41; 10. Verrat unter Freunden und Verwandten wird stets als besonders schmerzlich und als tiefgehender Verstoß gegen die rechte Ordnung der Dinge verstanden, und dem entsprechend empört klingt die Bitte: Herr, wie lange noch wirst Du das ansehen? (V. 17) Nicht nur die menschliche, auch die göttliche Ordnung ist verletzt.

Der zweite Absatz endet dann mit einer Formel, die eigentlich schon den Schluß des ganzen Gebetes bedeuten könnte. „Rette mein Leben vor ihrer Wildheit und mein Ein- und Einziges vor den Löwen“. Formel deshalb, weil es in der ganzen Angelegenheit offen­sichtlich nicht um eine Bedrohung durch wilde Tiere geht – aber die Formel ist nun einmal auf diese besondere Form der Notlage ausgerichtet. Und auch das Versprechen des Dankes in großer Gemeinde ist hier zunächst einmal als Standardformel zu verste­hen, aber sicher nicht als Leerformel: Das Dankopfer im Tempel oder ein Mahlopfer im eigenen Haus gehörten für jeden frommen Juden zu den Selbstverständlichkeiten seiner Glaubenspraxis.

Der Psalm könnte damit zu Ende sein, war vielleicht in einem früheren Stadium auch damit zu Ende. Darüber, warum er noch fortgesetzt wird, kann man viele Überlegungen anstellen. Gut denkbar, daß hier eine Verschmelzung zweier ursprünglich nicht zusam­men­gehörender Lieder stattgefunden hat. Der mit Vers 19 folgende dritte Teil erscheint jedenfalls wie später angehängt, um einige bis dahin unerwähnte Aspekte der Situation zum Ausdruck zu bringen. Im Mittelpunkt steht dabei die zweifach ausgesprochene Bitte, die Gegner sollen sich nicht über die Niederlage des Beters freuen können (V 19, 25) . Der Beter äußert diese Bitte nicht nur um seiner eigenen Befindlichkeit willen, sondern führt höhere Motive an: Die Manöver der Gegner dienen nicht dem Frieden im Lande (20), sie stellen mit ihren Angriffen die Gerechtigkeit Gottes in Frage (24) und kommen somit einem Angriff auf den Herrn selbst gleich (27). Im Hintergrund steht dabei der Gedanke des Tun-Ergehen-Zusammenhanges: Wenn die Feinde laut jubeln, kann das wie eine göttliche Bestätigung wahrgenommen werden, daß sie mit ihrer Anklage im Recht sind. Und um den feierlichen Freispruch des Angeklagten zum Ausdruck zu bringen, bedarf es der öffentliche Beschämung der Ankläger (26, 27). Es geht um nicht weniger als um eine sichtbare und demonstrative Wiederherstellung der göttlichen Gerechtigkeit, so daß nicht nur er bei seinem Dankopfer, sondern alle Frommen in das Gotteslob einstimmen können. Der Frieden im Land muß wiederhergestellt werden.

Letzte Bearbeitung: 26. März 2024

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