Beati, quorum remissae sunt — Ps. XXXI (32)

Der Stich zeigt, wie Jesus die Ehebrecherin, die bei ihm Schutz gesucht hat, gegen ihre Verfolger in Schutz nimmt.

„Wohl dem, dem der Herr die Schuld nicht zur Last legt“ (Ps. 31, 2)

Psalm 31 ist der zweite der von der Kirche traditionell so verstandenen Bußpsalmen . Er besteht aus zwei klar vonei­nander unterscheidbaren Teilen. Der vordere (bis 7) ist ein sehr persönlich gefasstes Bekenntnis- und Dankgebet, der hintere zieht daraus im Stil eines Lehrgedichtes eine allgemeine Nutzanwendung „für alle“. Die beiden Teile sind dadurch miteinander verschränkt, daß die beiden ersten Verse bereits in Richtung der Allgemeingültigkeit zielen, während V 7 und 8 anscheinen noch einmal der Person des Beters bzw. seines Zwiegespräches mit Gott Raum geben. Moderne Erklärer haben im hebräischen Text viele kunst­volle poetische Elemente vorgefunden – in der griechisch/­lateinischen Tradition klingt das alles eher nüchtern; größere Bedeutungsunterschiede sind dabei jedoch nicht zu erkennen.

Im ersten, persönlichen Teil berichtet der Beter mehr als daß er tatsächlich betet von einer verschwiegenen Schuld, die ihn krank gemacht hat. Dabei verbleibt er im Denk­rah­men des Tun-Ergehen-Zusammenhangs – er muß den ganzen Tag (unter einer Krank­heit?) stöhnen, weil er gesündigt hat. Dem modernen Beter erschließt sich darüber hinaus ein psychologischer Zusammenhang: Die verschwiegene, verdrängte und nicht anerkannte Schuld verursacht Leiden bis hin zu körperlicher Krankheit. In beiden Fällen ist der Schauplatz des Geschehens wohl das Innere, das Gewissen des Beters: Ob, wie einige Erklärer annehmen, ein öffentliches Schuldbekenntnis oder ein liturgischer Ablauf gemeint ist, bleibt offen. Der christliche Beter und vor allem natürlich der katholische kann und soll bei V. 5 allerdings sehr wohl an das Sakrament der Vergebung in der Beichte denken – aber er geht damit über den eigentlichen Text des Psalms hinaus. Was keinesfalls unzulässig ist, wie an den Ausführungen zu diesem Psalm bei Augustinus zu sehen ist, auf die später noch einzugehen sein wird.

Psalm 31 jedenfalls zeichnet hier einen sehr engen Zusammenhang zwischen Erkenntnis und dem (vor sich und vor dem Allmächtigen) Eingestehen der Sünde und deren Vergebung durch den gnädigen und barmherzigen Gott – in welcher Weise das erfolgt oder ratifiziert wird, bleibt unbestimmt: Von einem äußeren Zeichen, von der Heilung einer Krankheit, von einem Opfer der Versöhnung oder des Dankes ist nicht die Rede. Nichts davon ist ist ausgeschlossen, aber das ist für Psalm 31 nicht der Erwähnung wert. Seine Aufmerksamkeit richtet sich auf die inneren Abläufe, auf das mit Vernunft gebildete und geformte Gewissen, wie man mit dem christlichen Terminus sagen kann. Einen starken Hinweis darauf geben die Verse 9 und 10, die den Menschen, der nicht aus seiner Vernunft heraus dem Gesetz des Herrn folgt, mit den unvernünftigen Tieren vergleicht, die man mit Zaum und Zügel auf dem rechten Weg halten muß. Schmerz und Krankheit – das sind Zaum und Zügel, die der Herr dem uneinsichtigen Frevler anlegt. Wer diesen Zusammenhang erkennt und danach handelt – so die Botschaft der letzten Verse – dem wird Gottes Gnade zuteil, und der hat allen Grund, zusammen mit den anderen Gerechten, das Lob des Herrn zu singen.

Die bevorzugte Methode des hl. Augustinus bei seinen Psalmenerklärungen ist die Analogie – d. h. er nimmt einen Begriff oder ein Sprachbild aus einem Psalmvers zum Anstoß für mehr oder weniger naheliegende Assoziationen zu Inhalten des Glaubens. Bei Psalm 31 wählt er ein anderes Verfahren: V 2 von Psalm 31 wird bei Paulus im Brief an die Römer vollständig zitiert und dient dem Apostel aus Ausgangspunkt für umfangreiche Darlegungen zur Rechtfertigungslehre: Kommt die Rechtfertigung vor Gott und von Gott ohne unsere weiteren Verdienste vom Glauben und der Gnade oder ist sie begründeten in unseren Werken? Liebt Gott ganz allein von sich aus uns alle und zieht alle an sich – oder müssen wir durch unser Tun seine Gnade verdienen, können sie gar im Sinne eines Anspruchs erwerben? Und ist der Glaube nicht auch Aufruf, ja sogar Befehl, zum Tun?

Diese schwierige Frage, die tatsächlich im alten Bund ihren Ausgang hat, aber erst im neuen ihre Lösung erfährt, macht Augustinus im Folgenden zum Gegenstand seiner gerade heute wieder höchst lesenswerten Predigt. Dabei kommentiert er freilich mehr den Brief des Paulus als den von Paulus alter Tradition gemäß David zugeschriebenen Psalm. Ein eindrucksvolles Zeugnis für die den Christen vorgegebene Einheit der Heiligen Schrift: Gegen den modernen Markionismus, der „Frohbotschaft“ gegen „Drohbotschaft“ in Stellung bringt, aber auch gegen die Wissenschaftshuberei, die die Psalmen „den Juden zurückgeben will“. Selbst auf die Gefahr, sie dadurch den Christen zu nehmen, und ohne immer hinreichend klar zu machen, welche Juden sie damit restituieren will: die der Jahrhunderte vor Christus – oder die der Jahrzehnte nach Auschwitz?

Letzte Bearbeitung: 26. März 2024

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