Cum invocarem — Ps. IV
„Bringt rechte Opfer dar und vertraut auf den Hernn“(Ps. IV, 6)
Psalm 4 ist ein Nachbarpsalm zu #3 – nicht nur nach der Stellung im Buch, sondern auch im Inhalt. Beide werden in der Überschrift David zugeschrieben, beides sind Bittgebete eines Menschen in Schwierigkeiten. Sie haben sogar einen ganzen Vers miteinander gemeinsam – nicht im Wortlaut, aber in der Aussage. In 3,5 heißt es: Ich schlief ein und habe tief geschlafen, denn der Herr hat mich erhalten. Und in 4,9-10: In Frieden schlafe ich und ruhe, denn Du, O Herr, allein, gibst mir Sicherheit.
Einen deutlichen Unterschied zwischen beiden gibt es in der Tonart. Während 3 dringlich und geradezu dramatisch klingt, schlägt #4 einen wesentlich ruhigeren Ton an – fast wie eine dankbare Erinnerung an eine bereits ausgestandene Situation. Keine Rede davon daß der Herr die Gegner mit Gewalt zum Schweigen bringen möge – statt dessen ein Appell an die Gegner, von der Feindschaft abzulassen und sich zum Herrn zu bekehren. Die letzte der drei Strophen bildet eine dreizeilige Nutzanwendung, die unbestimmt „an alle“ gerichtet ist und wohl auch die (früheren) Gegner mit einschließt: In der Gnade des Herrn wartet Gutes auf alle und eine Freude, die größer ist als alle materiellen Güter (um die es vielleicht beim vorhergehenden Streit gegangen war). Den eigentlichen Knackpunkt des Gebets erkennt man erst beim Blick auf den hebräischen Text – und auch dort nur in der geschriebenen Form - denn die im Griechischen und Lateinischen übliche Umschreibung des Gottesnamens mit Kyrios bzw. Dominus verdeckt den betonten Einsatz des Eigennamens von Israel Gott „Yahweh“, der hier noch stärker ins Auge fällt als in der vorhergehenden #3. Fast klingt es so, als richte sich der Appell zum Ausgleich und die Aufforderung „bringt Opfer der Gerechtigkeit dar“ sowie „vertraut auf Yahweh“ an eine Bevölkerungsgruppe, die nicht an Yahweh glaubt, sondern zu anderen Göttern betet.
Die Bevölkerungsstruktur In Israel sowohl in der frühen Zeit als auch nach dem Exil war sehr kompliziert, es gab starke „Klassenunterschiede“, wie man im 20. Jh. gesagt hätte, es gab neben den Juden auch noch andere Völkerschaften mit anderen Göttern und selbst unter denen, die sich als Juden verstanden, herrschte alles andere als Einheit und Einheitlichkeit. Besonders starke Spannungen herschten zwischen den Juden bzw. deren Nachkommen, die von den Babyloniern ins Exil geführt und dann wieder freigelassen worden waren, und denen, die die ganze Zeit über im Lande hatten verbleiben können. Die Exil-Rückkehrer, größtenteils Angehörige der alte Oberklasse, sahen sich auch religiös gegenüber den „Zurückgebliebenen“ überlegen.
Die bis heute einflußreiche Zenger-Schule der Psalmen-Auslegung hat diese Unterschiede ziemlich einseitig im Sinne eines marxistiscehn Klassenkampfschemas wahrgenommen – Oberschicht gegen Ausgebeutete. Das wird weder der sozialen noch der religiösen Realität dieser Jahrhunderte wirklich gerecht. Nicht überall, wo in den Psalmen von den „Armen“ die Rede ist, kann man an besitzlose Proletarier denken, die von mächtigen Proto-Kapitalisten ausgebeutet werden. Aber es gab zweifellos auch starke Formen von Ausbeutung, Unterdrückung und Unrechts-Herrschaft, und es ist nicht abwegig, bei Psalm 4 an das Gebet eines Unterdrückten zu denken, der seine Hoffnung in dem Appell findet: Aber wir glauben doch alle an den Gott Yahweh, den einen Herrn.
Letzte Bearbeitung: 21. März 2024
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