Cum venit Doëg — Ps. LI (52)

Der eifersüchtige König Saul eirft mit einem Speer auf den Harfe spielenden David, verfehlt ihn aber

„Was rühmst du dich der Bosheit, du Held der Schlechtigkeit“ (51; 3)

Der Psalm hat einen ungewöhnlich langen Vorspruch von zwei Versen, der das Lied auf eine Episode aus dem Leben Davids bezieht und David auch selbst als den Autor angibt. Obwohl die hebräische und die griechisch/lateinische Texttradition in diesem Vorspruch inhaltlich übereinstimmen, spricht nichts dafür, daß er auch zutrifft. Ab Vers 3 ist Psalm 51/52 ein ganz reguläres Lehrgedicht von so allgemeinem Inhalt, daß es in seinem Gedankengang auch dem heutigen Beter ohne größere historische oder interpretatorische Anstrengungen zugänglich ist.

Die ersten vier Verse (3 – 6) sprechen den Sünder – keine bestimmte Person, jeder soll sich gemeint fühlen – direkt an und stellen ihm den Spiegel seines bösen Tuns vor Augen. Dabei scheinen diese Verse in eindringlichen Bildern ein weit über einzelne Personen hinausgreifendes Lügensystem zu beschreiben, heute vielleicht aktueller als sie je zur Zeit der Abfassung dieses Psalms sein konnten. Diesem Sündenregister folgt dann in einem einzigen langen Vers (7, nach der hebräischen Zählung ist es Vers 5) ) die Androhung der Vergeltung für alle, die sich die Sprache der „trügerischen Zunge“ zu eigen gemacht haben: Gott bleibt der Sieger, und er wird den/die Lügenredner unschädlich machen und austilgen.

Die vier letzten Verse ziehen dann zunächst (in 8 und 9) die Moral aus dem Vorhergehenden und geben dabei das Lügenmaul der wohlverdienten Lächerlichkeit preis. In den Versen 10 und 11 macht sich der Beter dann die fromme Schadenfreude dieser Verse zu eigen und gibt stellvertretend für alle, die sich der Lüge und Verleumdung widersetzen, seiner sicheren Erwartung ausdruck, daß er – so wie der Übelredner die Strafe – die Belohnung für sein redliches Verhalten erhalten werde. Im letzten dieser Verse deutet der Psalm dann wie in vielen anderen Dankesversen auch die Überschreitung des irdischen und diesseitigen Zusammenhanges von Schuld und Vergeltung an und läßt mit dem „Dich preisen ewiglich im Angesicht Deiner Heiligen“ die überweltliche Dimension anklingen. Die Übersetzer der Vulgata haben das nicht ganz ohne Berechtigung aus der weniger metaphysischen hebräischen Vorlage herausgelesen, wo man auch lesen könnte: Jederzeit im Kreis deiner frommen Gemeinde. Denn genau diese „fromme Gemeinde“, in der die Juden die großen Werke Gottes lobten, ist eine Vorgestalt der Communio sanctorum, die mit der Auferstehung Christi auf eine neue Existenzebene übertragen wurde.

Der im Vorspruch erwähnte Edomiter Doëg soll nach einem Bericht im ersten Buch der Könige (Kap. 21-22) den Aufenthalt des vor Saul geflohenen David verraten und die Priester des Heiligtums von Nob, die angeblich Davids Flucht unterstützt hatten, auf Sauls Befehl erschlagen und sich dessen später auch noch gebrüstet haben. Der Zusammenhang dieser Episode mit Psalm 51 ist sicher nicht historisch. Aber I Könige 21 enthält eine andere hoch interessante Information: Die Ortschaft von Nob (vermutete Lage ca 5 km. nordöstlich von Jerusalem) verfügte erstaunlicherweise über ein Heiligtum mit einer umfangreichen Priesterschaft. Dort gab es diesem Bericht nach auch sakrale „Schaubrote“ (besser: Brote des Angesichs) wie später im Tempel auf dem Zionsberg. Es ist unbekannt, üb dieses Heiligtum ein Vorläufer des Zionstempels war oder noch mit diesem gleichzeitig existierte. Nach I Könige 22 wären die Stadt und ihre Priesterschaft wohl auf Befehl Sauls ausgerottet worden. Wie dem auch sei: Für den Dichter dieses Psalms und seine Mitbeter war die Existenz eines weiteren Heiligtums neben dem auf dem Zionsberg durchaus vorstellbar. Und als schließlich solche Heiligtümer in der Zeit Josias für illegitim erklärt wurden, waren die Bücher der Schrift schon so verfestigt, daß diese Erinnerung nicht mehr ausgetilgt werden konnte.

Psalm 51 unterstreicht ein weiteres Mal die Bedeutung eines wichtigen Elements des Juden und Christen gemeinsamen Moralsystems, dessen fundamentale Stellung dem gegenwärtigen Bewußtsein nicht immer präsent ist – obwohl es auch im Dekalog vom Sinai seinen prominenten Platz hat: Das Gebot, nicht die Unwahrheit zu sagen und nicht die Sprache zum Nachteil von Mitmenschen einzusetzen. Verleumdung, Falschaussage, und überhaupt Fake-News jeder Art sind dem Wesen Gottes (und dem sozialen Zusammenhalt von Gesellschaft) ebenso fremd und feindlich, wie mangelnde Ehrerbietung gegen Gott und die Eltern, wie Mord und Ehebruch. Dante, der den Lügnern und Verleumdern , den achten (und damit zweituntersten) Kreis der Hölle zuweist, war sich dessen noch mehr bewußt als eine heutige Gesellschaft, die sich im orwellschen „Krieg ist Frieden“ und „Lüge ist Wahrheit“ gemütlich eingerichtet hat.

Wenn man Psalm 51 so als Absage gegen Lüge und Unwahrheit versteht, stellt das ein weiteres Indiz gegen den im Vorspruch hergestellten Zusammenhang mit David und Doeg: Doeg war ein Verräter am Gesalbten des Herrn – aber die Unwahrheit gesagt hatte er nicht. Vielleicht haben die Sänger der Pslmen die „Sünden des Mundes“ aber auch anders gruppiert, als wir das heute gewohnt sind.

Letzte Bearbeitung: 11. April 2024

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