Exaltabo te domine — Ps. XXIX (30)

Die Wächter sinken geblendet und betäubt zu Boden - Christus erhebt sich siegreich aus dem Grab.

„Du hast mich herausgeholt aus dem Reich des Todes und von den Todgeweihten mich zum Leben erweckt“ (29; 4).

Der verhältnismäßig kurze Psalm 29 hat den Charakter eines Dankgebetes und fügt sich der frommen Andacht eines Beters zunächst problemlos ein. Beim genaueren Hinschauen zeigt sich jedoch, daß der Psalm aus zwei Teilen besteht, deren gegenläufige Bewegung Fragen aufwirft – nicht zuletzt danach, ob auch dieser Psalm möglicherweise aus zwei ursprünglich getrennten Dankgebeten zusammengefügt worden wäre.

Der erste Teil (Vers 2 – 6) ist ein Dankgebet nach überstandener Lebensgefahr, sei es durch Krankheit oder ein „Rechtsstreit mit Feinden“ (126). Die Rettung ist bereits eingetreten, denn der Beter hat in seiner Not zu Jahweh gerufen und Erhörung gefunden. Die Gefahr für Leben und Seele ist abgewendet – daher die Aufforderung an die wohl gegenwärtig zu denkende Gemeinde der Frommen, in das Lob Gottes einzustimmen. Quasi zur Bekräftigung dieses Lobes folgen in Vers 6 zwei Sinnsprüche, wie man sie so oder ähnlich auch aus anderen Psalmen kennt. Damit könnte das Dankgebet denn auch schon zu Ende sein, aber tatsächlich geht es in Vers 7 weiter bzw. nimmt einen unerwarteten neuen Anfang: Der liest sich einerseits wie eine Rückblende in die unbeschwerten Zeit vor dem Ausbruch der inzwischen glücklich überstandenen Notsituation. Es geht aber andererseits auch über diesen und jeden anderen denkbaren Anlaß hinaus und und öffnet den Blick auf allgemeinere Zusammenhänge. Es geht nicht mehr um die Bitte um Hilfe in einer ganz konkreten Notlage, sondern der Stellenwert des Gebetes in der Beziehung des Menschen zu Gott allgemein wird zum Thema.

Anscheinend zeichnet der Psalm hier drei Phasen nach: Eine eher naive Phase unreflektierten Glücks, in der der Beter sich der Gnade und Güte Gottes erfreute. Dann der Umschlag in dem Moment, als Gott „sein Angesicht abwandte“ und – so muß man es wohl verstehen – den Beter in Angst und Verzweiflung stürzte. Und schließlich als 3. Phase eingekleidet in das Bild einer Art von „Verhandlung“ oder gar „Handel“ mit dem Herrn ein Stadium der Reflektion, in dem der Beter über sein Verhältnis zu Gott und dessen Gnade („Angesicht“) nachsinnt. Der Beter bittet nicht nur einfach um Gnade, sondern macht seinem Gott eine Rechnung auf: Was nützt Dir mein Tod – aber wenn ich am Leben bleibe, kann (und will!) ich Dein Lob singen. Von einem ähnlichen Verhandlungsvorschlag war bereits einmal in Psalm 6 die Rede, und er wird uns in 113 (V. 25) und an anderen Orten des AT erneut begegnen.

Der Beter rechtet und handelt mit seinem Gott! Nicht als gleichberechtigter Geschäftspartner – nirgendwo wird angedeutet, daß Jahweh in irgendeiner Weise auf das Gebet und die Opfer seiner Frommen angewiesen wäre, wie das möglicherweise bei anderen Gottheiten des alten Orients durchaus die Ansicht gewesen sein mag. Der Herr der himmlischen Heerscharen bedarf nicht des Lobes seiner menschlichen Geschöpfe – aber auch schon im alten Bund gab es ein starkes Bewußtsein davon, daß das Lob Gottes Sinn und Ziel menschlicher Existenz sei. Im AT wird das angedeutet im 2. Schöpfungsbericht in Gen. 2, 7 – 14) und in der Lehre der Kirche auskristallisiert in der Eröffnungsfrage des traditionellen Katechismus: Wozu sind wir auf Erden…

Der Beter in den genannten Psalmen erinnert gleichsam Gott (und damit natürlich auch sich selbst) daran, daß er sein entsprechendes Soll noch nicht erfüllt habe und erklärt seine Absicht, dem nachzukommen – sofern der Herr ihm nur die Gelegenheit dazu gewährt. Das kann man durchaus im Sinne eines Gelübdes verstehen, das in gewisser Weise über eine Beschwörung des allgemeinen Tun-Ergehen-Zusammenhanges hinausgeht. Dieser Zusammenhang hat, wenn wir Zenger da richtig verstehen, seinen Schwerpunkt hauptsächlich in der „Gesetzesfrömmigkeit“. Das Gesetz Mose legt dem frommen Juden vielerlei Gebote auf, die auch Formalien des Alltagslebens regeln und weit über die Grundgebote vom Sinai hinausgehen. Wer sie einhält, lebt gottgefällig und kann (auch) irdischen Lohn dafür erwarten. Wer sie bricht, frevelt gegen Gott und muß mit Strafe rechnen.

Wie – und ob überhaupt – das Verhältnis zwischen „Gesetzesfrömmigkeit“ und „Gebetsfrömmigkeit“ im vorchristlichen Judentum theologisch bestimmt war, ist schwer fassbar. Nach dem Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner im Tempel (Lk 18, 9 – 14) ist jedenfalls anzunehmen, daß es nicht unproblematisch war. Und den Dankpsalmen insgesamt können wir entnehmen, daß der Lobpreis des Herrn – und zwar nicht alleine und im stillen Kämmerlein, sondern „in der ganzen Gemeinde“ – eine ganz besonders wichtige Form war, Gott für die Erfüllung des Gebetes zu danken. Die beiden letzten Verse von Psalm 29 kann man als Bestätigung dieser Vorstellung auffassen. Diese Verse enthalten nicht die Mitteilung, daß „die Verhandlungen des Beters“ mit Jahweh erfolgreich waren und dieser sogleich beginnt, seine Dankesschuld abzutragen. Sie setzen die Erfüllung des Gebetes voraus und legen das Augenmerk auf eine höhere und spirituellere Ebene, als das bei der Aufforderung zum Gotteslob in V. 5 der Fall ist. Der Beter sieht, daß die Erfüllung seines Gebetes nicht nur ein konkreter Einzelfall eines göttlichen Gnadenerweises ist, sonder auf eine ganz grundsätzliche Weise das Verhältnis zwischen Jahweh und seinen Frommen nicht nur bestimmt, sondern dem Wesen nach ausmacht: Das Vertrauen in Gott wird zur größten Freude.

Diese Erkenntnis und der durch sie ausgelöste ewige Jubel stehen durchaus in einem starken Spannungsverhältnis zur Lebenswelt des Beters – nicht nur als Individuum, sondern auch als Volk und als Gemeinschaft der Frommen. Schon der folgende Psalm 30 (31) macht genau dieses Spannungsverhältnis, diesen Widerspruch zum Thema.

Letzte Bearbeitung: 26. März 2024

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